Tourenbericht 2017

Durch den Ärmel von der Bretagne nach Britannien

von Jan

7.07.17
Roscoff – schon der dritte Hafen auf dem Weg von Brest, am Westzipfel der Bretagne, Richtung Britannien.
Mit zwölf Jahren ist der Kanal, der Ärmelkanal, für mich zum Mythos geworden. Victor Hugo ließ in ihm den liebenden Gilliant mit den Elementen kämpfen und Sieger bleiben, bevor er sich selbst besiegte. Ich träume seit der ersten Lektüre der „Arbeiter des Meeres“ die Klippen selbst zu sehen.
Und endlich bin ich mit Constantin und seiner Swan entlang der bretonischen Küste unterwegs, gleichsam wie der Steiger bei der Fahrkunst im Schacht, nutzen wir den Rhythmus von Ebbe und Flut, um von West nach Ost voran zu kommen. Natürlich unter Segeln!
Die Crew, schon nach dem ersten Essen eingeschworen, besteht aus des Skippers Frau - die kulinarisch alle verwöhnt, einem weißhaarigen Seebären - der mit der Charisma schon über den Atlantik kam, einem frankophonen Frankophilen - unserem Restaurantführer, einem zurückhaltenden Doc - der wie ich die Ostsee liebt, einem staunenden Neuling - für den wir zunächst eine fremde Sprache sprachen und mir.

18.07.17
Vierter Tag, zweiter Eintrag, Trébeurden – das klingt wenig französisch. Auf jedem Schiff weht die Kreuzchenfahne, mit jenen blau-weißen Streifen, die von der Flagge auf jede Matrosenbrust gewandert sind. Und selbst die Gullideckel sind bretonisch. Bleu blanc rouge wird geduldet. Doch von den Ortsnamen abgesehen habe ich kein bretonisches Wort gehört.
Gestern unter Vollzeug 45 Meilen, heute viel gerefft, und nur die halbe Strecke. Bei geringer Dünung, drittem Reff und 8 Knoten sind wir weiter nach Osten gekreuzt, um morgen zum großen Sprung anzusetzen und durch den Ärmel zu schlüpfen. Hinüber in ein anderes Land, eine andere Kultur und Küche. Ach, wie hat es hier geschmeckt!

19.07.17 Die Symphonie des Segelns
Die Ouverture beginnt bereits im Hafen. Im Stakkato schlagen die Fallen gegen die Masten – ta, ta, ta, ta, ta. Das Schlagwerk wird gebildet aus einem Wald von Masten. Unter diesen extatischen Beat mischt sich ein unregelmäßiges Plopp, plopp, plopp diversen laufenden Guts, Böen winseln auf der Dirk. Etwas mehr Wind und die Wantenspanner begännen zu flöten. Gurgelnd setzt sich die Jacht in Bewegung – lauscht man vom Bug. Das Achterschiff wird beherrscht von den Vibrationen des Diesels. Vom Ufer frei, rascheln die Segel beim Hissen. Und endlich setzt sich durch das harmonische Thema des Segelns. Ein Schäumen im Reigen der Dünung, ein Sprudeln und ein Elfengesang von irgendwoher. Gebrochen von Rascheln, Knistern, Schlagen, Reiben, angefeuert vom Rezitativ der Kommandos „Ree!“, „Fieren!“, „Hol dicht!“. Und so geht es mit langen Strophen von Frankreich nach England hinüber. Und während um uns nur noch die See, setzt der Vocal des Basstölpels Akzente. Nein, nicht im Bass, aber auch nicht so schrill wie die Möwen. Delfine sind schweigende und sporadische Begleiter.
Weymouth – nach achtzehn Stunden und über 120 Meilen höre ich als letztes, wie der Kronkorken vom Anlegerbier ploppt.

20.07.2017 Platt vor'm Laken
Die fünfte und letzte Etappe soll von Weymouth nach Cowes auf der Isle of Wight führen. Was für ein Schlag!
Das Drum & Dran des Segelns ist so ambivalent. Weiße Hemden und hedonistisches Gehabe auf der einen, Abenteuerlust und Suche nach Grenzen auf der anderen Seite. Bald hundert, hundertfünfzig Jahre ist Segeln keine Notwendigkeit mehr. Heute ist Segeln freiwillig. Aber dennoch widerfahren dem Segler Dinge wie in jener mythenbildenden Vergangenheit, die noch viel älter ist als jedes Bild, das man heute von ihr zu sehen bekommt. Wir schauen allenfalls zurück bis zu der Zeit der großen Entdeckungen. Aber solange Britannien eine Insel ist, wird sie schon besegelt. Die Seefahrt ist mindestens drei Mal so alt wie die Aufzeichnungen der Argonautensage.
Und immer und jeden fasziniert die Unberechenbarkeit des Segelns. Flaute bis zum Skorbut (heute selten), Irrfahrten, die auf Klippen enden und im Tod, Männer, die sich ans Steuer binden um den Gewalten zu trotzen. Die Mortalität der Unternehmungen ist drastisch gesunken. GPS macht Blindflug möglich. Den Launen des Wetters bleibt man ausgesetzt. Skipper Constantin wird widersprechen. Auf Grundlage der Wetterdaten lässt sich entscheiden. Wir hatten mit Starkwind gerechnet und so ist es auch gekommen. 24 Knoten Wind, zwei Meter hohe Wellen bei fünf Knoten Strom.
Als ich am Steuer stand, hätte ich eine dritte und vierte Hand gebrauchen können. Und ein paar Kilo mehr.
Der Wind fiel raumschots ins gereffte Groß und in das ausgebaumte Vorsegel. Beide Segel durch Bullen und Schoten in ihre Lage gezwungen. Überließe man das Schiff der Welle, hätte man es vergeigt. Bloß keine Halse. Die Windanzeige tanzt um 180°, das bringt den Skipper aus der Ruhe. Vorübergehend. Steuerbord die Needles der Isle of Wight, Backbord nähert sich Hurst Castle. Das ganze Kanalwasser, ach, den ganzen Atlantik wollen Mond und Sonne zwischen beiden Kaps hindurchziehen.
Im Solent hat's sich beruhigt. Die Fahrt klingt aus bis Cowes. Am x-tausendsten Steg wird fest gemacht. Und ich freu' mich auf's nächste Segeln. Hier findet Ihr die nautischen Fakten:https://www.charisma4sea.de/logbuch/segeltoerns-2017/bretagne/